10. März 1919: Coburg gibt sich eine Verfassung

Eine der ersten Aufgaben der am 9. Februar 1919 gewählten Coburger Landesversammlung war die Ausarbeitung einer Verfassung. In der zweiten Sitzung am 10. März 1919 konnte man dieses Anliegen mit Erfolg abschließen, denn an diesem Tag wurde die vorläufige Verfassung unter dem Titel „Vorläufiges Gesetz über die Gesetzgebung und Verwaltung im Freistaate Coburg“ verabschiedet.[1]

Die neue Verfassung basierte in ihrem Inhalt auf einem Entwurf des ehemaligen Leiters des Staatsministeriums von Sachsen-Coburg und Gotha, Abteilung A in Coburg, und jetzigen Mitglieds der Staatsregierung des Freistaates Dr. Hermann Quarck.[2]

In der neuen Verfassung fand der bis dato mitregierende Arbeiter- und Soldatenrat keinen Platz mehr. Das revolutionäre Gremium verschwand stillschweigend von der politischen Bühne. Die gesetzgebende Gewalt und die Überwachung der Verwaltung entfielen auf die Landesversammlung. Damit hatte diese die oberste Staatsgewalt inne. Die Exekutive wurde von der Staatsregierung ausgeübt. Sie bestand aus drei gleichberechtigten Mitgliedern. Die Staatsregierung war vom Vertrauen der Landesversammlung abhängig, konnte von ihr berufen werden und war ihr verantwortlich. Der starke Mann der Staatsregierung war der konservative Verwaltungsfachmann Quarck. Er war nicht nur geschäftsführendes Mitglied des dreiköpfigen Regierungskollegiums, sondern auch Leiter des Staatsministeriums, also der Verwaltung. Es gab in ihm also eine personelle Verquickung zwischen Staatsregierung und Staatsministerium. Dass man Quarck zum führenden Mann im Staate machte, hing damit zusammen, dass man auf seine Erfahrung und Sachkunde in Verwaltungsangelegenheiten angewiesen war. Neben Quarck gehörten mit Franz Klingler und Reinhold Artmannn zwei Sozialdemokraten der Regierung an.[3]

Eine erste Veränderung erfuhr die Verfassung durch die „Geschäftsordnung für die Staatsregierung des Freistaats Coburg“, welche am 29. März 1919 erlassen wurde. Durch sie wurde die Machtposition Quarcks noch erweitert. Quarck kam innerhalb des gleichberechtigten Regierungskollegiums nicht nur die Geschäftsleitung zu, sondern er bestimmte auch über die Kollegialsitzungen und entschied bei Stimmengleichheit durch sein Votum. Bei dringenden Angelegenheiten war er sogar befugt, Entscheidungen allein zu treffen.[4] Das Gesetz sprach deshalb konsequenterweise von der „Staatsregierung (Staatsministerium)“.

Eine grundlegende Änderung, bedingt durch den Rücktritt Quarcks, erfuhr die Verfassung am 11. Juli 1919. Durch das „Gesetz über die Abänderung des vorläufigen Gesetzes vom 10. März 1919 über die Gesetzgebung und Verwaltung im Freistaate Coburg“ wurde die Personalunion zwischen Staatsregierung und Staatsministerium aufgehoben, wie sie in der Person Quarcks bisher bestanden hatte. Außerdem wurde das Staatsministerium als Exekutivorgan der Staatsregierung untergeordnet. Die Staatsregierung übte fortan ihre Befugnisse durch das Ministerium aus.[5] Niemand sollte nach Auffassung der Sozialdemokraten mehr eine solche Machtfülle wie Quarck haben. Nachfolger Quarcks im Amt des Leiters des Staatsministeriums wurde der Verwaltungsfachmann Ministerialdirektor Dr. Ernst Fritsch. Seine Funktion in der Staatsregierung übernahm der DDP-Mann Dr. Hans Schack. Den Vorsitz des Regierungstriumvirats erhielt der Sozialdemokrat Klingler.[6]

Quarck hatte sein Amt zur Verfügung gestellt, als die Sozialdemokraten Artmann, ohne Rücksprache mit ihm, zum coburgischen Vertreter im thüringischen Staatsrat beriefen, wie es der Gemeinschaftsvertrag zwischen Coburg und Gotha vorsah. Quarck sah darin einen Vertrauensentzug gegenüber seiner Person. Er zog daraus die Konsequenzen und trat zurück.[7]


[1] Erdmann, Jürgen: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. Coburg 1969. (= Coburger Heimatkunde und Landgeschichte. Reihe II. Heft 22). S. 18;„Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. Ausstellung des Staatsarchivs Coburg anläßlich der 75. Wiederkehr der Vereinigung Coburgs mit Bayern am 1. Juli 1920. Coburg, den 1. Juli – 1. September 1995. Hrsg. von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. München 1995. S. 102.

[2] Albrecht, Joachim: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. Die Coburger NSDAP während der Weimarer Republik 1922-1933. Frankfurt/Main 2005. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe II. Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Band 1008). S. 62; Hambrecht, Rainer: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 58/59 (1998/1999). S. 371-390. Hier S. 379;„Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 102.

[3] Ebenda, S. 102f., 105f.;Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 18;Finzel, Frank / Reinhart, Michael: Spuren: 175 Jahre Sparkasse Coburg. Hauptwege, Nebenwege, Irrwege. Stuttgart 1996. S. 207.

[4] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 105f.; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 62; Hambrecht: Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern S. 379;Erdmann, Jürgen: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 19.

[5] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 103, 106;Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 18; Albrecht, Joachim: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 62;Finzel / Reinhart: Spuren: 175 Jahre Sparkasse Coburg. S. 207.

[6] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 103;Finzel / Reinhart: Spuren: 175 Jahre Sparkasse Coburg. S. 207.

[7] Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 40; „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 103;Finzel / Reinhart: Spuren: 175 Jahre Sparkasse Coburg. S. 207.