Im Konflikt zwischen Pflichterfüllung und Widerstand Teil IV
Ein Beitrag von Rupert Appeltshauser
Nicht unumstritten ist auch das Verhalten Hansens in den Verhören, die dem Scheitern des Attentatsversuchs am 20. Juli folgten. Gegenüber der Gestapo wurde Hansen von einem Major des Heereamtes als Mitverschwörer genannt und daraufhin am 22. Juli zur Gestapo in die Prinz- Albrecht- Straße einbestellt.23 Die Vernehmung führte der Gestapo- Chef Müller als Vorsitzender einer von Himmler gebildeten Sonderkommission. Nach eintägigem Verhör und vergeblichen Versuchen der Leugnung gestand Hansen nicht nur seine Beteiligung am Komplott, sondern gab auch die Namen einer großen Zahl weiterer Verschwörer preis, u. a. auch den seines Amtsvorgängers Canaris.
„Es war das erste Geständnis eines der maßgeblichen Männer der Anti‑Hitler-Fronde, dem noch viele folgten. Auf das ihm von Müller gereichte Papier schrieb er einen Namen nach dem anderen.
Über solches Verhalten sollte keiner richten, der nicht selber dem psychischen und physischen Terror von Gestapovernehmungen ausgesetzt war. Wer will heute noch beurteilen können, was den Oberst Hansen zu seinem Geständnis trieb ‑ war es nackte Existenzangst oder die Begleichung alter Rechnungen aus der Vergangenheit, war es die verzweifelte Hoffnung, durch Nennung meist unwichtiger Mitverschwörer andere und bedeutendere zu decken, oder war es gar die Verlockung, mittels rückhaltloser Offenbarung der Motive und des Umfangs der Verschwörung die kritischeren Geister in der SS‑ und Polizeiführung gegen das korrupte NS‑Cäsarentum aufzubringen? Die dürren, nüchternen Gestapoprotokolle schweigen sich darüber aus, als Faktum blieb nur übrig: Georg Hansen hatte gestanden.“24
Es ist Höhne zuzustimmen, dass es sich verbietet, über Hansens Handeln zu richten. Es bleibt aber die Suche nach Erklärungsmotiven. Soweit bekannt ist, war Hansen in den Verhören keinem direkten physischen Druck ausgesetzt. Jedoch kann man sich leicht vorstellen, welche Möglichkeiten der Erpressung der Gestapo allein schon durch Hansens Rolle als mehrfacher Familienvater gegeben war. Auch scheint der Verdacht Höhnes, dass hier vielleicht „alte Rechnungen“ beglichen werden konnten, zu hart. Nach allem, was Hansens Charakter- und Berufsbild erkennen lässt, ist es wahrscheinlicher, dass er in einem Ziel- und Loyalitätskonflikt stand, der auch früher nicht einfach für ihn gewesen war und den zu bewältigen er sich unter den neuen Bedingungen nicht mehr in der Lage sah.
Dessen Wurzeln liegen offenbar wiederum in der schon mehrmals erwähnten Prägung als Berufssoldat. Ganz im Geiste dieser Tradition hatte er seine Hoffnungen immer auf die militärische „Westlösung“ gesetzt und hierfür mit Hingabe und Verlässlichkeit alles getan, was in seinen Möglichkeiten stand. Der Person Stauffenbergs und den Konzepten seines Umkreises war er dagegen stets mit Skepsis begegnet. Als die Attentatspläne gescheitert waren, brachte er unter dem Druck des Verhörs offenbar nicht mehr den Willen auf, diejenigen zu schützen, die diese Ziele verfolgt hatten. Weiterhin ist zu bedenken, dass er als Offizier gewohnt war, in den Kategorien von Befehl und Gehorsam zu denken und dass es ihm trotz seiner Geringschätzung des Nationalsozialismus stets schwer gefallen sein mag, sich ganz davon zu befreien. Das Amt, das er leitete, war dem RSHA direkt unterstellt. Hansen war damit ausgerechnet den Leuten gegenüber, die die Verhöre führten, an direkte Befehlsstrukturen gebunden. Schon bei der Eingliederung der Abwehr in das System des Reichssicherheitshauptamtes hatte Canaris kritisch bemerkt, dass Hansen gegenüber den Führern des RSHA zu nachgiebig sei und ihnen „viel zu große Zugeständnisse“ mache.25 Dass unter der psychischen Last des Verhörs falsch verstandene Loyalität eine Rolle gespielt haben mag, ist deshalb nicht auszuschließen.
Nach allem, was sich aufgrund der Quellenlage sagen lässt, wäre es verfehlt, Hansens Leistung für den deutschen Widerstand allein auf den 20. Juli und auf Stauffenberg bezogen zu sehen. Hier standen sich einfach zwei verschiedene Konzepte und Handlungsstrategien gegenüber, das eine rein militärisch orientiert, das andere auch offen für politische Lösungen. Als Berufsoffizier hatte Stauffenberg für lange Zeit die Möglichkeiten des Widerstands ebenfalls unter vornehmlich militärischen Gesichtspunkten betrachtet. In Anbetracht einer neuen Lage und neuer Herausforderungen ist es ihm aber dann gelungen, über militärische Kategorien hinauszudenken.Demgegenüber hat sich Hansen zeitlebens nie von der Illusion der Beendigung des Krieges unter ehrenhaften Bedingungen durch direkte Kontakte von „Soldat zu Soldat“ zu lösen vermocht. In dieser Begrenzung mag auch der Schlüssel zum Verständnis mancher seiner Fehlleistungen liegen, wie z. B. seiner distanzierten Haltung gegenüber der Person und den Plänen Stauffenbergs, seiner deutlichen Vorbehalte gegenüber allen politischen Formen des Widerstandes und seines ambivalenten Verhältnisses gegenüber dem RSHA und des dadurch bedingten Verhaltens im Verhör.
Einer ausdrücklichen Würdigung wert ist Hansens konsequente Distanz gegenüber dem NS- Regime, durch die er sich entscheidend vom Gros seiner Zeitgenossen und Offizierskollegen unterschied. Gerade durch die Zugeständnisse, die Hitler der Armee zu machen verstand und durch die anfänglichen militärischen Erfolge ließen sich viele Offiziere blenden und unterstützten ohne Vorbehalte und zum Teil bis zum bitteren Ende Hitlers Kriegspolitik. Hansen und seine Gesinnungsfreunde in der Wehrmacht standen gewiss nicht in Totalopposition, aber sie nutzten die Stellung, die Mittel und den Einfluss, die der Machtapparat ihnen gewährte, um der Kriegspolitik Hitlers und deren fatalen Konsequenzen nach Kräften entgegenzuwirken. Dass sie für diese Ziele bereit waren, auch den Tod auf sich zu nehmen, bleibt ihr unbestreitbares und unauslöschliches Verdienst.