Kein ICE in meinem Hinterhof!
Eine „nicht ganz genaue“ Skizze sorgte für große Verwirrung … (Foto: Norbert Klüglein, Neue Presse Coburg).
Für unser Lesebuch haben wir Coburger Journalisten nach ihren „Lieblingsstorys“ gefragt. Welche Geschichten sind im Laufe der Jahre besonders im Gedächtnis geblieben? Welche „Zeitungsaufreger“ beschäftigten Coburg? Norbert Klüglein von der Neuen Presse hat seine persönliche „Lieblingsstory“ – ein echter „Zeitungsaufreger“ – für das Digitale Stadtgedächtnis aus dem Archiv geholt.
1992 gab es im Coburger Land teils heftig geführte Debatten über die geplante Trassenführung des ICE. In dieser Planungsphase waren von der Deutschen Bahn kaum verlässliche Details über die angedachten Trassen zu erhalten. So waren Journalisten auf das Material angewiesen, welches sie von Politikern, Naturschützern oder Interessensverbänden unter der Hand erhielten.
Um in einem Artikel zu verdeutlichen worum es geht, versuchte man mit einfachen Mitteln vorhandene Pläne „aufzupeppen“. Der Redaktion lag zwar ein Plan der Bahn mit den eingezeichneten Trassen-Varianten 1, 2 und 3 vor, für die Variante 3a, die der heutigen Trassenführung entspricht, gab es jedoch keinerlei Unterlagen. Deshalb schritt der Journalist Norbert Klüglein mit einem Filzschreiber einfach selbst zur Tat. Er zeichnete eine gestrichelte Linie zusätzlich in die offiziellen Bahn-Pläne ein, um den Lesern deutlich zu machen, wie „etwa“ – und darauf kommt es im Folgenden an – die Trassenführung für 3a ausfallen könnte.
Das ist im Bereich Seidmannsdorf und Dörfles-Esbach wohl nicht ganz so gut gelungen. Dort rutschte die Linie relativ nah an die vorhandene Bebauung heran. Die Leserinnen und Leser der Neuen Presse schauten jedoch „ganz genau“ hin. Die Folge waren heftige Proteste im Coburger Osten, erst gegen die Bahn und später gegen die Neue Presse, weil Viele befürchteten, dass ihre Grundstücke durchschnitten würden oder sie eine Schnellbahntrasse in den Hinterhof bekämen.
Selbst im Coburger Stadtrat war die „kühne Zeichnung“ damals ein Thema. Es gab eine Stadtratsanfrage zur Trassenführung. In der Sitzung musste Norbert Klüglein dann erklären, dass es sich nur um eine Symbolzeichnung handelte, die zeigen sollte, „wo ungefähr“ der ICE langfahren könnte.