Deutschnationale und antisemitische Bünde in Coburg, Teil II

Den „Höhepunkt“ und gleichzeitig auch den Endpunkt der Entwicklung des DVSTB bildete der vom Bund in Coburg ausgerichtete „3. Deutsche Tag“. Da der Führer des DVSTB und Organisator des Deutschen Tages, Hans Dietrich, wollte, dass die Veranstaltung radikal werden und überregional Schlagzeilen machen sollte, lud er auch Adolf Hitler und seine Nationalsozialisten ein. Dies sollte dem DVSTB zum Verhängnis werden, da Hitler die deutschnational und völkisch gesinnten Coburger durch seine Aggressivität und Kompromisslosigkeit auf seine Seite ziehen konnte. Die Nationalsozialisten nahmen dem DVSTB, aber auch den anderen deutschnationalen und antisemitischen Bünden in Coburg, die durch ihr Wirken den Grundstein für den Erfolg der Nationalsozialisten gelegt hatten, vor allem durch ihr radikales Auftreten und ihre Parolen, die mit denen des DVSTB und der anderen Bünde übereinstimmten, die Mitglieder weg. Man kann also sagen, dass die Mitglieder der nationalen Bünde in Coburg zu den Nationalsozialisten wechselten und die Bünde dadurch, bildlich gesprochen, ausbluteten.[1]

Der zweite völkische Bund in Coburg war der Jungdeutsche Orden. Er ging am 17. März 1920 aus dem von Arthur Mahraun im Januar 1919 in Kassel gegründeten Freikorps „Offizierskompanie Kassel“ hervor. Als Vorbild für die Organisation diente der mittelalterliche Deutsche Ritterorden. Ziele und Ansichten des Jungdeutschen Ordens sind vergleichbar mit denen des DVSTB. Auch sie waren antisemitisch und antirepublikanisch, jedoch auch antikatholisch. Der Orden strebte eine nationale Volksgemeinschaft an, in der alle Deutschen in evangelisch-christlichem Geiste vereint und alles „Fremdrassige“ ausgeschaltet sein sollte.[2] Geleitet wurde der seit 1920 in Coburg residierende Jungdeutsche Orden, genauer gesagt die „Ballei“ Franken des Ordens, von den evangelischen Geistlichen Pfarrer Helmuth Johnsen aus Gauerstadt bei Coburg und Pfarrer Döbrich aus Neustadt bei Coburg.[3] Nach Angaben des Ordens hatte man in ganz Franken rund 4.000 Mitglieder und speziell in Coburg rund 1.800 Anhänger.[4] Sprachrohr des Jungdeutschen Ordens in Coburg war die unregelmäßig erscheinende „Coburger Warte“. Das Blatt tat sich in der Hauptsache durch antisemitische Propaganda hervor.[5]

Anders als der DVSTB unterhielt der Jungdeutsche Orden eine paramilitärische Abteilung, das „Jungdeutsche Regiment“. Dieses sollte im Rahmen des „Grenzschutz Nordbayern“ im Jahre 1923 eine Rolle spielen, als sich das politische, zur extremen Rechten neigende Bayern von den linksradikalen Strömungen in Thüringen bedroht sah und man zudem in Bayern noch mit dem Gedanken eines Putsches gegen die demokratische Reichsregierung in Berlin spielte. Das „Jungdeutsche Regiment“ tat sich dabei vor allem in der Tyrannisierung und Plünderung der Coburger Bevölkerung und im speziellen der dortigen Juden hervor.[6] So wurde zum Beispiel der jüdische Kaufmann Karl Goldstein von Männern des Jungdeutschen Ordens zu Hause überfallen und ausgeraubt.[7] Etwas Ähnliches widerfuhr auch den jüdischen Viehhändlern Adolf und Emanuel Gutmann. Auch sie wurden überfallen und körperlich misshandelt. In der sich an diesen zweiten Überfall anschließenden Gerichtsverhandlung wurden die Schläger des Jungdeutschen Ordens vom Gericht aufgrund der vom Richter festgestellten allgemeinen politischen Wirren äußerst milde bestraft.[8]

Das Ende des Jungdeutschen Ordens in Coburg brach wie beim DVSTB ebenfalls mit dem Auftreten und Erstarken der Nationalsozialisten an. Auch hier konnten die Nationalsozialisten die Mitglieder des Ordens durch ihre Radikalität auf ihre Seite ziehen. Beim Jungdeutschen Orden kam noch ein innerer Richtungsstreit hinzu. Man spaltete sich in zwei Lager. Das eine hielt die vom Generalstaatskommissar für Bayern, Gustav Ritter von Kahr, befürwortete Niederschlagung des Hitlerputsches für richtig, während das zweite Lager dies als Verrat an der nationalen Sache sah.[9]

Abschließend sei noch erwähnt, dass Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften in den Bünden und Organisationen keine Seltenheit waren. So war zum Beispiel Hans Dietrich, der Leiter des DVSTB, auch Mitglied des Jungdeutschen Ordens und seit 1922 der NSDAP. Die nationalen und völkischen Elemente verfügten durch diese personellen Verschränkungen über ein gut funktionierendes Netzwerk, von dem die Nationalsozialisten nach dem gescheiterten Hitlerputsch, dem NSDAP-Verbot und der Wiedergründung der Partei profitieren sollten.[10]


[1] Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 21f.; Fromm: Die Coburger Juden. S. 19; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 65; Jung: Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund (DVSTB) 1919-1924/35.

[2] „Voraus zur Unzeit“. Coburg und der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Katalog zur Ausstellung der Initiative Stadtmuseum Coburg e. V. und des Stadtarchivs Coburg im Staatsarchiv Coburg. 16. Mai bis 8. August 2004. Coburg 2004. (= Coburger Stadtgeschichte. Band 2). S. 53;Fromm: Die Coburger Juden. S. 22; Keller: Coburg und die Weimarer Republik. S. 63; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 76f.; Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 16; Coburger Warte v. 18. Oktober 1923 nach Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 77.

[3] „Voraus zur Unzeit“. S. 53f.; Keller: Coburg und die Weimarer Republik. S. 63; Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 16.

[4] „Voraus zur Unzeit“. S. 53; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 76.

[5] Fromm: Die Coburger Juden. S. 23f.

[6] „Voraus zur Unzeit“. S. 53; Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 75;Fromm: Die Coburger Juden. S. 26; Keller, Gunther: Coburg und die Weimarer Republik. S. 63; Asmalsky, Ludwig: Der Nationalsozialismus und die NSDAP in Coburg 1922-1933. Unveröffentlichte Zulassungsarbeit zur Prüfung für das Lehramt an den Gymnasien in Bayern an der Universität Würzburg. Würzburg 1969. S. 78; Coburger Volksblatt v. 17. Juni 1930.

[7] Fromm: Die Coburger Juden. S. 26; Coburger Tageblatt v. 29. Oktober1923; Erdmann: Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923. S. 138.

[8] Asmalsky: Der Nationalsozialismus und die NSDAP in Coburg 1922-1933. S. 78f.

[9] Albrecht: Die Avantgarde des „Dritten Reiches“. S. 78.

[10] Ebenda, S. 77; Popp: Coburgs Weg in den Nationalsozialismus 1919-1931. S. 16.

Teil I