Der nicht-militärische Widerstand
Der Begriff „Widerstand“ war sowohl in der Geschichtsschreibung wie auch in der öffentlichen Diskussion seit 1945 einem Wandel unterworfen: Verstand man noch in den 50er Jahren darunter fast ausschließlich den sog. „aktiven Widerstand“, vor allem der militärischen Opposition und damit den Staatsstreichversuch des 20. Juli, so erweiterte sich dieser enge Widerstandsbegriff seit den 80er Jahren und erfasste alle Formen gesellschaftlicher Resistenz unter dem neuen allgemeinen Begriff „Dissens“ (Steinbach/Tuchel S. 229). „Dissens meint dabei sowohl divergierend – nonkonforme Einstellungen, als auch Verweigerungshandlungen, die den erwarteten Konsensansprüchen zuwider liefen, wobei diese kollektiv wie individuell auftreten und öffentlichen oder auch privaten Charakter haben konnten.“ (ebd. S. 229)
Peter Hoffmann nennt Beispiele abweichenden Verhaltens: „Viele leisteten Widerstand, indem sie nur an den vorgeschriebenen Tagen keine Hakenkreuzfahne an ihre Fahnenstange hängten, indem sie plötzlich fleißige Kirchgänger wurden oder indem sie jedes ‚Heil Hitler’ geflissentlich überhörten. Viele verzichteten ausdrücklich auf Beförderung, um nicht der NSDAP beitreten zu müssen, oder sie versteckten Juden und andere Bedrängte, oder sie sprachen als Richter in politischen Fällen milde Urteile.“ (Hoffmann S. 37)
Alle Fälle von abweichendem Verhalten sind ein Beleg dafür, dass die von den Nazis propagierte „Volksgemeinschaft“, zu der alle Deutschen – unabhängig von Herkunft, Bildung, Einkommen oder Tradition – verschmolzen werden sollten, in der Realität nie so umfassend existierte.
Trotz dieser vielfältigen und durchaus nicht seltenen Formen von Dissens und Verweigerung, sollte nicht vergessen werden: Die übergroße Mehrzahl der Deutschen war mit Hitlers Politik einverstanden. Dies galt für die gesamte Politik nach Innen wie nach Außen einschließlich des Überfalls auf die Sowjetunion.
Auch der aggressive Antisemitismus wurde von den meisten Deutschen geteilt. Inwieweit die von den Nazis geplante und begonnene völlige Vernichtung des europäischen Judentums – der Holocaust, im Nazijargon die sog. „Endlösung der Judenfrage“ – ebenfalls von der überwiegenden Mehrheit der Deutschen gebilligt wurde, bleibt strittig: Einerseits ist bekannt, dass die Pogrome vom 9. November 1938 bei einem Teil der Bevölkerung Entsetzen auslöste (Steinbach/Tuchel S. 210), andererseits haben nur wenige Menschen tatkräftig Widerstand geleistet. Zudem wurden dieVernichtungslager bewusst in den eroberten Gebieten im Osten eingerichtet, um mögliche Proteste im Reichsgebiet zu vermeiden. Tatsache ist aber auch, dass trotz aller Geheimhaltungsversuche Berichte von Deportationen und Völkermord durch Wehrmachtsteile und SS in den besetzten Gebieten viele Menschen in Deutschland erreichten. Nicht zuletzt dies war für Viele ein letzter Anlass, sich vom Nationalsozialismus abzuwenden und Widerstand zu leisten.
Joachim Fest notiert in seinem Buch „Staatsstreich – der lange Weg zum 20. Juli“, das 1994 erschien, dass der deutsche Widerstand aus „christlichen, sozialistischen, einfach nur menschenrechtlichen, konservativen und sogar reaktionären Motiven“ erfolgte. Fest resümiert: „Nicht zu Unrecht hat man gesagt, einen Widerstand im Sinne einer halbwegs geschlossenen, ideell geeinten Gruppe oder gar Bewegung habe es zu keiner Zeit des Dritten Reiches gegeben. Vielmehr umfasst der erst im Nachhinein geprägte Begriff eine große Zahl von einander unabhängiger, oft auch gegensätzlicher Vereinigungen.“ (S. 9)
Gerd Ueberschär betont, dass es „nur kleine Gruppen waren, die zum NS-Staat und dessen Führung in Opposition und Widerstand gingen.“ (S. 8) Ueberschär weist sehr richtig darauf hin, dass die „Gegnerschaft zu Hitler nicht von vornherein vorgezeichnet“ war: „Nicht selten führte der Weg zum Widerstand über Begeisterung und Zustimmung zur NS-Regierung sowie über loyaler Zusammenarbeit und Beteiligung bei der Etablierung der NS-Herrschaft.“ (S. 8)
Peter Steinbach und Johannes Tuchel von der Gedenkstätte deutscher Widerstand in Berlin gliedern den deutschen Widerstand so:
– Der „Widerstand aus der Arbeiterbewegung“ umfasst den kommunistischen, sozialdemokratischen und sozialistischen Widerstand, den Widerstand der Gewerkschaften und der katholischen Arbeiterschaft
– Dazu tritt der Widerstand aus christlicher Überzeugung bzw. aus den religiösen Gemeinschaften
– Andere Bereiche sind der Widerstand von Frauen bzw. der von Jugendlichen wie z. B. der Kölner „Edelweißpiraten“. Oder die Hilfe für verfolgte Juden, wie sie in Israel durch die Gedenkstätte YadVashem gewürdigt wird.
– Der „Widerstand im Krieg“ umfasst Einzeltäter wie Georg Elser und dessen Attentat auf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller vom 8. November 1939, den „Kreisauer Kreis“ um Moltke und Yorck von Wartenburg, die „Weiße Rose“ um die Geschwister Scholl in München und die „Rote Kapelle“ um Arvid Harnack und Libertas und Harro Schulze-Boysen – der Name „Rote Kapelle“ wurde im Übrigen von der Gestapo geprägt; die Gruppe bestand keineswegs nur aus Kommunisten oder Sozialisten. Zudem werden Desertion und Kriegsdienstverweigerung zum deutschen Widerstand gezählt.
– Der letzte Punkt ist schließlich die Militäropposition und die Umsturzversuche von 1938 bis 1943, sowie das Attentat vom 20. Juli 1944.
Sie alle waren ein Teil des „anderen Deutschland“, zu dem auch die Emigranten gehörten. Dieses „andere Deutschland“ – ein Wort des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss 1954, beim Festakt zum 10. Jahrestag des 20. Juli – bestand aus Angehörigen aller Glaubensrichtungen, aller politischen Überzeugungen und aller Berufe. Zu diesem „anderen Deutschland“ gehörte Georg Alexander Hansen.
Gisevius berichtet von Hansens Meinung zu Stauffenberg, die für Gisevius, wie ein Motto „über der Geschichte des 20. Juli geschrieben“ steht: „das Ganze kommt mir so spielerisch vor … So … geht … es … nicht.!“ (S. 269) Hansen fehlte bei Stauffenberg – so Gisevius – der „letzte Ernst“, man dürfe sich doch nichtmit dem Gedanken begnügen, „das Ganze werde schon gut gehen, sobald man nur zum Handeln entschlossen sei.“ (S. 274)
Hansen gehörte zum engsten Verschwörerkreis des 20. Juli. Karsten Hansen war, wie die Kinder und Angehörigen anderer Verschwörer auch, nach dem Attentat mit seinen Geschwistern in „Sippenhaft“ genommen worden. Ihre Mutter wurde verhaftet.
Karsten Hansen war zum Zeitpunkt der Ermordung seines Vaters 6 Jahre alt. Er wird vor allem sprechen zum Leben seines Vaters als junger Offizier und Familienvater und zu dessen beruflichen Werdegang, der von der Begegnung mit Generaloberst Beck, Stauffenberg und Admiral Canaris, dem Chef der Abwehr, geprägt ist.