1919-1920: Die Judenfrage in Coburg – Vorträge und Zeitungsartikel

Nach dem Schock der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der herrschenden sozialen und wirtschaftlichen Not suchten viele Menschen nach Erklärungen für die vorherrschende Situation. Dabei machten sich viele ein simplifizierendes Erklärungsmodell zu Eigen: sie schoben alle Schuld der jüdischen Bevölkerung zu. In Coburg fiel diese Saat des Hasses gegenüber den Juden auf fruchtbaren Boden, denn weite Teile der Bevölkerung waren nationalistisch bis völkisch geprägt. Auch die Aktivitäten der deutschnationalen und antisemitischen Bünde in Coburg (z. B. der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund oder der Jungdeutsche Orden) taten ihr Übriges.[1]

Zur Widerlegung der gegen die Juden vorgebrachten Vorwürfe reiste im Oktober 1919 Dr. Ludwig Holländer, ein Vorstandsmitglied des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, von Berlin nach Coburg. Am 30. Oktober hielt er dort einen Vortrag zum Thema „Die antisemitische Gefahr“. Bei seinem Vortrag versuchte Holländer die Anschuldigungen, die von antisemitischen Kreisen hervorgebracht wurden, die Juden seien „Drückeberger“, „Kriegsgewinnler“, „Bolschewisten“ und „keine echten Deutschen“, zu entkräften. So verwies er zum Beispiel darauf, dass auch die Juden während des Ersten Weltkriegs in den Schützengräben lagen und für das Vaterland gestorben waren. Des Weiteren führte er aus, dass es Kriegsgewinnler überall gegeben habe, der russische Bolschewismus dem Judentum fremd sei und man Deutscher nicht durch Geburt werde[2], „sondern durch Kultur und durch den Willen, dem gemeinsamen Vaterlande zu dienen“[3].

Wirklich beeindruckt wurden die antisemitischen Hetzer durch den Vortrag Holländers allerdings nicht. Vor allem die „Coburger Zeitung“ tat sich in der Folge als Sprachrohr des Antisemitismus hervor.[4] Die der DNVP nahestehende Zeitung druckte bereitwillig die antisemitischen Ansichten der Partei ab: „Neben der Presse, die ja nicht ohne Berechtigung die siebente Großmacht genannt wird, und neben der Volksvertretung hat Juda die Führung auf fast allen Gebieten an sich gerissen, als da sind: Regierung, Wirtschaftsleben, Finanz, Literatur, Kunst, Theater, Kirche und Schule. Können wir uns da wundern, daß unser in den vier Kriegsjahren so schwer heimgesuchtes Volk, das durch Hunger entnervt und durch die Zwangswirtschaft – auch eine jüdische Erfindung! – morsch und moralisch brüchig bis ins Mark hinein geworden war, in den schweren Prüfungen der letzten Jahre so ganz seinem eigentlichen innersten Wesen fremd gehandelt hat? Es ist der ausgesprochene Sieg des jüdischen Geistes über den deutschen.“[5]

Welche Schlussfolgerungen man daraus ziehen sollte, konnte man schon zuvor am 12. Dezember 1919 in der „Coburger Zeitung“ lesen. Dort stand nämlich: „Wenn wir nicht das Schicksal des westgotischen Reiches teilen wollen, das ihm hauptsächlich die Juden bereitet haben, dann ist es höchste, allerhöchste Zeit, daß wir uns zur Wehr setzen, daß wir das völkische Ehrgefühl und den nationalen Gedanken wieder zur Auferstehung wecken.“[6] Die „Coburger Zeitung“ und die DNVP riefen also zum Kampf gegen das Judentum auf und förderten damit das judenfeindliche Klima in und um Coburg.

Im Februar 1920 sprach einer der prominentesten Antisemiten der Zeit, Artur Dinter, auf Einladung der DNVP in Coburg zum Thema „Die semitische Gefahr“. In seiner Rede machte er die Juden, wie zuvor die Zeitungskampagne der „Coburger Zeitung“, für alles Schlechte in Deutschland verantwortlich.[7]

Einzig die SPD ergriff Partei für die Juden. In Zeitungsartikeln und Vorträgen verteidigte sie diese. Für die Sozialdemokraten war die Verteidigung der Juden zugleich ein Teil des Kampfes für die Weimarer Republik, da im politisch rechten Lager Antisemitismus und antidemokratische Ansichten miteinander verbunden wurden.[8]

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Jahre 1919 und 1920 von Hetzkampagnen gegen die Juden, sei es in Form von Zeitungsartikeln, Flugblättern – hier sind die Flugblattaktionen der deutschnationalen und antisemitischen Bünde zu erwähnen – oder von Vorträgen, geprägt waren. Zu gewaltsamen Übergriffen gegen Juden kam es dabei in diesem Zeitraum nur noch selten.[9]


[1] „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. Ausstellung des Staatsarchivs Coburg anläßlich der 75. Wiederkehr der Vereinigung Coburgs mit Bayern am 1. Juli 1920. Coburg, den 1. Juli – 1. September 1995. Hrsg. von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. München 1995. S. 198.

[2] Fromm, Hubert: Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal. Coburg 2001. S. 3f.

[3] Coburger Volksblatt v. 31. Oktober 1919. Zitiert nach Fromm: Die Coburger Juden. S. 4.

[4] Ebenda, S. 6.

[5] Coburger Zeitung v. 16. Dezember 1919. (Online unter:http://daten.digitale-sammlungen.de/~db­/bsb00001157/images/index.htmlStand: 08. Januar 2010). Siehe auch Fromm: Die Coburger Juden. S. 6.

[6] Coburger Zeitung v. 12. Dezember 1919. (Online unter: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db­/bsb00001157/images/index.html?id=00001157&fip=84.148.219.247&no=1&seite=1175. Stand: 08. Januar 2010). Siehe auch Fromm: Die Coburger Juden. S. 6.

[7] Coburger Volksblatt v. 21. Februar 1920. Siehe auch Fromm: Die Coburger Juden. S. 8; „Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. S. 198.

[8] Fromm: Die Coburger Juden. S. 7f.

[9] Ebenda, S. 7.