April 1924: Coburgs 1. Bürgermeister ein Jude?

Die „Affäre Streicher-Hirschfeld“

Im April des Jahres 1924 kam es zur sogenannten „Affäre Streicher-Hirschfeld“. Am 23. des Monats hielt der spätere NSDAP-Gauleiter und „Frankenführer“, Julius Streicher aus Nürnberg, in Coburg anlässlich einer Feier zum 35. Geburtstag Adolf Hitlers eine Rede. In dieser ließ er sich über den „Völker zerfressenden Geist des Judentums“ aus. Dabei kam es auch zu einer Äußerung, die in Coburg hohe Wellen schlug. Streicher bezeichnete nämlich den damaligen Oberbürgermeister Coburgs, Dr. Gustav Hirschfeld, der am gleichen Tag aus seinem Amt schied, wegen dessen vermeintlich jüdisch klingenden Nachnamens als Juden.[1]

Hirschfeld verklagte Streicher daraufhin. In der Verhandlung führte Hirschfeld aus, dass er sich durch diese „Beleidigung“ schwer gekränkt fühlte, da weder er noch seine Vorfahren jüdischen Glaubens gewesen seien. Streicher betonte in seiner Verteidigungsrede, dass er niemals beabsichtigt habe, den Oberbürgermeister Coburgs zu beleidigen, da er Hirschfeld überhaupt nicht kenne.

Er habe nur kurz vor seiner Rede von einem Parteifreund erfahren, dass Hirschfeld ein Jude sein solle und dies einfach in seine Rede eingebaut. Das Gericht – wie so oft auf dem rechten Auge blind – folgte der fadenscheinigen Ausrede Streichers und sprach ihn frei.[2]

Für die Nationalsozialisten war die „Affäre Streicher-Hirschfeld“ ein voller Erfolg. Sie hatten den Coburger Oberbürgermeister diskreditiert, kamen straffrei aus dem von Hirschfeld angestrengten Gerichtsprozess und hatten in Coburg einen Wirbel veranstaltet, der ihnen die gewünschte Aufmerksamkeit brachte.


[1] „Voraus zur Unzeit“. Coburg und der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Katalog zur Ausstellung der Initiative Stadtmuseum Coburg e. V. und des Stadtarchivs Coburg im Staatsarchiv Coburg. 16. Mai bis 8. August 2004. Coburg 2004. (= Coburger Stadtgeschichte. Band 2). S. 79;Fromm, Hubert: Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal. Coburg 2001. S. 30.

[2] „Voraus zur Unzeit“. S. 80;Fromm: Die Coburger Juden. S. 30f. Vgl. auch Coburger Zeitung v. 18. Oktober 1924.