Kostproben Anno dazumal
Herbert Pilling mit Tochter Ursula
Die Familie von Ursula Bröcheler-Pilling bewirtschaftete von 1931 bis 1958 die Bahnhofsrestauration. Regelmäßige Kontakte zu den Lieferanten aus Coburg waren damals üblich. Für Bestellungen und Absprachen bei Metzgern und Bäckern durfte sie ihren Vater bzw. ihre Großmutter begleiten und diese Besuche waren, sehr zur Freude des jungen Mädchens, immer mit einer Kostprobe verbunden. „Wieder einmal in Coburg, eine Bratwurst in der Hand, den Duft von Markt und Stadt in der Nase und plötzlich stehen sie da wieder vor meinen Augen, die alten Bilder der Kindheit und es werden Erinnerungen wach“, schreibt die heute am Niederrhein lebende Ex(il)-Coburgerin über einen Besuch in der alten Heimat. Ihre Erinnerungen an eine Kindheit im Coburg der 1950er Jahre hat Ursula Bröcheler-Pilling in einem Bericht für das Digitale Stadtgedächtnis festgehalten.
Wie war es doch in den 50er Jahren, hier auf dem Marktplatz? Da stand an den Markttagen nicht nur ein Bratwurststand, hier wetteiferten die Coburger Metzger mit ihren Wörschtla um die Gunst der Kunden, ja, sogar einen Rossschlächter gab es in der Runde. Da drängt es mich, einige der alten Handwerksbetriebe die geschäftlich oder privat mit meiner Familie in Verbindung standen, aufleben zu lassen. Da gab es am Albertsplatz die Metzgerei von Karl und Hulda Weschenfelder, die gemeinsam mit ihrem Sohn Ernst und dessen Frau Carola in der kalten Jahreszeit einen „Schinken im Brotteig“ anboten. Das Brot gut ausgebacken, so knackig, dass es nur zu brechen war, dazu der Schinken saftig, eine wahrhaft wohlschmeckendes ein köstliches Angebot.
Ein Stückla weiter auf der Webergasse war der Fleischer Rosenbauer daheim. Hier verstand man das Wursten, die handwerklich perfekte Herstellung von Leber- und Blutwurst. Heiß auf den Teller mit einem guten Kraut und einer Scheibe dunklem, kernigen Brot, das schmeckte selbst mir mit meinen 10 Jahren hervorragend. Heute würde ich mir ein gutes Coburger Bier dazu wünschen. Einige Schritte weiter, in der Judengasse, vis a vis vom Bäcker Oberender, war die kleine Metzgerei Birnstiel. Hier gab es eine heute nur noch selten angebotene Spezialität den „Ochsenmaulsalat“. Eine Rinderbacke gegart, hauchdünn aufgeschnitten, mit Pfeffer, Salz, Zwiebelringen sowie Essig und Öl gut gewürzt; dazu Brot oder Röstkartoffeln, eine Köstlichkeit! Einen weiteren Metzgermeister darf ich nicht vergessen. Auf dem Steinweg, Emil Schlick und seine Frau Dorle. Betrat man den Laden, blitzte auf der Theke ein Messingkessel, gefüllt mit wohl schmeckender Kesselwurst. Mit einer Semmel und einem guten Klatschen Senf gerne gekauft. Zu all diesen Fleischwaren war ein gutes Brot, eine knusprige Semmel unerlässlich. Daher sollen die Bäcker nicht vergessen werden!
Gut in Erinnerung ist mir die kleine Bäckerei Holland auf der Judengasse, eine wahre Institution. Zur großen Pause der naheliegenden Rückertschule stand dort Hollands Lehrjunge mit einem großen Waschkorb voll ofenfrischer Teilchen. „Amerikaner, Kämme, Streuselplätz“, was die Bäckerei so hergab, alles einfach gut! Da meine Familie auch eine Bratwurstbude am Bahnhof betrieb, waren die frischen Semmeln schon früh am Morgen wichtig. Diese lieferte der Lehrbub täglich in einem Korb auf seinem Fahrrad. Schwatzend, mit meiner Freundin auf dem Schulweg, übersah ich den Semmellieferanten. Ein Zusammenprall war unvermeidbar, alles lag auf der Straße, die Semmeln, der Lehrbub mit einem Loch in der Hose, wir die Kniee kaputt. Die Semmeln gingen wieder in den Korb und wir in die Schule. In der Judengasse gab es den Bäcker Oberender, der uns ebenso, im wöchentlichen Wechsel mit seinem Kollegen Holland, belieferte. In der Tür seines Ladens stehend sah man Meister Oberender mit seiner stattlichen Figur Mittags nach getaner Arbeit in der Backstube. Er verfolgte das Geschehen auf der Gasse und der Duft des Brotes stieg den Passanten in die Nase. Die Knüfchen des gut ausgebackenen Brotes mit Butter und Salz versehen waren ein Genuss. Auf der Webergasse gab es noch den Bäcker Schellhorn. Er hatte die besten Kümmelbrötchen und Salzstangen. Ich freute mich immer, wenn meine geliebte, bei uns tätige Tante Minna, die Frau vom Friseur Dressel aus der Webergasse, am Morgen diese Köstlichkeiten mitbrachte.
Blechkuchen, Streusel, Pflaumen- Kirsch- und Käsekuchen mit den vielen Rosinen gab es an der Ecke Raststraße-Kreuzwehrstraße beim Bäcker Seifert. Die große Backstube war von der Straße aus über eine Treppe im 1. Stock erreichbar. Im Vorraum lagen in den Regalen die mit Namen versehenen Kuchen und Brote die er für die Coburger abgebacken hatte. Nicht jeder Bürger verfügte über einen entsprechenden Backofen, da gab man den fertigen Teig zum Abbacken hierher.
Da ich von den Bäckern sprach, möchte ich die Cafés nicht vergessen. Auf dem Steinweg gab es das Café Renner. Hier gab es zur Faschingszeit ein Kinderfest, bei dem kostümiert gehopst, getanzt, gesungen wurde. Dazu eine Flasche Sinalco, da war das Kinderherz glücklich. Auf der Mohrenstraße fand sich im reichhaltigen Torten-Angebot von Café Schilling für jeden etwas. Weiter unten auf der Mohrenstraße lag das Café Schubart. An den Sonntagen lud es ein zur Caféhaus-Musik und am Nikolaus-Abend kam der bärtige Mann leibhaftig zu den Kindern, die mit roten Bäckchen in großer Erwartung auf das, was da wohl kommen würde, warteten. Eine Spezialität des Hauses war die „Fürst Pückler-Schnitte“. Sehr süß, sehr mächtig, aber lecker!
So habe ich mitunter heute noch den Geschmack der Kindheit auf den Lippen und ich frage mich: Ist es lediglich die Erinnerung an alte Zeiten oder war es handwerkliches Können, war es die Zeit die man damals noch für ein gutes Gelingen aufbringen konnte, den Schweiß den man in seine Arbeit steckte? Was brachte den Geschmack in diese Produkte, den Geschmack den man heute oft vergeblich sucht?