Der Coburger Bildhauer Ferdinand Lepcke (1866-1909)
Ferdinand Lepcke wurde als Sohn des Ehepaares Ernst und Friedericke Lepcke am 23. März 1866 in Coburg geboren. Die Kinderjahre verbrachte Ferdinand mit seinen Eltern und Geschwistern in der Leopoldstraße 27. Sein Vater betrieb in diesem Hause bis zum Umzug nach Berlin (etwa im Jahre 1870) eine Gastwirtschaft. Die Beziehungen zu seiner Heimatstadt Coburg ließ Lepcke nach dem Wegzug – auch in späteren Jahren – nie abreißen. Er unterhielt intensiven Kontakt zur Familie, zur Coburger Künstlerzunft „St. Lukas“ und stiftete der Stadt mehrere Bildwerke.
In Berlin besuchte Ferdinand die Trahndorffsche Privatschule. Mit 16 Jahren begann der junge Lepcke eine Ausbildung an der Unterrichtsanstalt des Berliner Kunstgewerbe-Museums. In den drei Schuljahren (1880-1883) belegte Ferdinand zahlreiche Kunstkurse, u.a. im Zeichnen und Modellieren. Im Oktober 1883 schrieb sich der begabte 17-jährige Schüler in der „Königlichen akademischen Hochschule für die bildenden Künste“ ein. An der Akademie der Künste war Lepcke Meisterschüler von Fritz Schaber.
Nach Abschluss des Studiums erhielt der talentierte Bildhauer zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen: 1891 den Großen Staatspreis der Preußischen Akademie der Künste und die „Goldene Medaille“. Aufenthalte in Italien, Frankreich und Dänemark schlossen sich an. Es folgten Staatsaufträge und Auszeichnungen wie die „Silberne Medaille“ von St. Louis (USA), das Ritterkreuz von Sachsen-Weimar, das Ritterkreuz Ernster Klasse des Ernestinischen Ordens des Herzoghauses Sachsen-Coburg-Gotha, der Großer Preis der Berliner Kunstausstellung sowie 1904 der Staatspreis für die Skulptur „Wiedersehen“. 1905 wurde ihm schließlich an der Akademie der Künste in Berlin der Professorentitel verliehen. Bereits wenige Jahre später starb Prof. Ferdinand Lepcke am 12. März 1909 im Alter von knapp 43 Jahren auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens in Berlin an einer Lungenentzündung.
„Ferdinand Lepcke war ein sehr talentierter Bildhauer, der in seinem kurzen Leben mit unermüdlicher Schaffenskraft, vielfältiger Phantasie und meisterlichem Können zahlreiche Kunstwerke hergestellt hat. Er war im Familienkreis aufgrund seiner optimistischen Lebenseinstellung, Geselligkeit, originellem Gedanken sowie für Sinn und Freude an Schönheit sehr beliebt. Im Hause seiner Coburger Schwester, Nichten und Neffen wurde oft mit Künstlern der „St. Lukas-Klause“ diskutiert und gefeiert.“
(Lepcke-Nachfahre Dietmar Leischner)
Lepckes Werk und Schaffen
Bereits während seiner Studienzeit fertigte Lepcke Salonbronzen für den Vertrieb auf dem freien Kunstmarkt an. Außerdem gehörten die bürgerliche Portraitbüste, die öffentliche Denkmal- und Grabmalplastik zu seinem Repertoire. Zu Anfang seiner Karriere waren seine Bildwerke noch vom neubarocken Stil der Berliner Schule beeinflusst. Doch bereits zu Beginn der 1890er Jahre hatte Lepcke zu einem eigenen Ausdruck zwischen Neoklassizismus und Jugendstil gefunden. Ab der Mitte der 1890er Jahre zeigte er mit Traum- und Fantasiedarstellungen sowie Interpretationen literarischer Themen gesteigerten Mut zum Experiment. Freundschaft und Bekanntschaft verband Lepcke mit zeitgenössischen Kollegen wie Fritz Klimsch oder August Gaul.
1905 stellte Lepcke seine außergewöhnlich ausdrucksstarke „Tänzerin“ vor – ein Jugendstilwerk par excellence. In der „Chicago Tribune“ wurde die „Tänzerin“ 1905 abgebildet und als eines der bemerkenswertesten Bildwerke der Großen Berliner Kunstausstellung des Jahres bezeichnet.
„Lepckes Richtung ist eine durchaus idealistische. Wie er sich persönlich im zwanglosen Verkehr mit seinen Freunden für die Schönheit des weiblichen Körpers begeistert, so ist auch seine Kunst. Er verzichtet auf Verhüllung und Gewand, um die reinen Linien meisterhaft spielen zu lassen. Die preisgekrönte Arbeit „Der Judaskuss“ (1886) ist eine lebensvolle Gewandstudie, die unter den Falten der gleichidealen Körperformen ahnen lässt.“
(Dr. Otto Adler, Berlin, Juli 1908)
Der Sintflutbrunnen
Überregionale Bekanntheit erlangte Lepcke vor allem auch durch die (mehrfache) Aufstellung seiner Bildwerke in verschiedenen Städten. Mit dem Entwurf seines Monumentalbrunnens „Sintflut“ für die – damals im Volksmund auch „Klein-Berlin“ genannte – Stadt Bromberg, dem heutigen Bydgoszcz im Nordwesten Polens, belegte er unter 44 Wettbewerbsteilnehmern 1898 den ersten Platz.
Bei dem Brunnen handelte es sich um einen der (zur damaligen Zeit) gewaltigsten Bronzegüsse Europas mit einem Gesamtgewicht von über 6 Tonnen und einer Höhe von mehr als 8 Metern. Hinzu kamen zwei Seitengruppen, die zwei Bären sowie eine männliche Figur mit Schlange darstellten. Nach 3-jähriger Vorarbeit übernahm die Firma Gladenbeck aus Berlin den Guss für Bydgoszcz. Die Einweihung des Sintflutbrunnens im Regierungsgarten am Weltzienplatz (heute: Kasimir-der-Große-Park) fand am 23. Juli 1904 statt. Der im November 1906 auf der Zollbauernwiese, dem heutigen Rosengarten eingeweihte Coburger Sintflutbrunnen – ein Geschenk der Coburger Bürger an Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha – ist im Vergleich etwas kleiner – etwa 6,25 Meter hoch – und verzichtet auf die beiden Seitengruppen. Eine weitere Variante – mit den Seitengruppen, jedoch ebenfalls in verkleinerter Ausführung – wurde 1916 in Eisleben von einem Fabrikanten gestiftet.
Bedauerlicherweise fiel das Denkmal in Bydgoszcz – bis dahin – zusammen mit der 1910 am Theaterplatz aufgestellten Bogenspannerin – ein Wahrzeichen der Stadt und bei den Bürgern eine außergewöhnlich beliebte Sehenswürdigkeit – bereits 1943 den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges zum Opfer. Am 7. Januar 1943 ließ die nationalsozialistische Stadtverwaltung den Sintflutbrunnen demontieren und für Kriegszwecke einschmelzen. Der Brunnen in Eisleben war bereits 1942 eingeschmolzen worden. Der Coburger Sintflutbrunnen blieb erhalten . Er wurde lediglich in den 1960er Jahren von seinem ursprünglichen Standort in der Mitte des Gartens auf einen Platz an der Südseite des Parks (Ecke Ketschendorfer Str./Alexandrinenstraße auf Höhe Karchestraße) versetzt.
Am 26. Juni 2014 konnte in Bydgoszcz schließlich eine vom polnischen Künstler Michael Pronobis geschaffene Rekonstruktion des Brunnens eingeweiht werden. Eine Bürgerinitiative und der „Verein zur Wiederherstellung des Sintflutbrunnens“ – an der Spitze geführt von Josef Herold und Prof. Dr. Zygmunt Mackiewicz – hatten es mit ihrem starken Engagement und hohen finanziellen Aufwendungen – u.a. gesammelten Spenden sowie staatliche Mittel – nach über 10 Jahren Arbeit geschafft, den Brunnen an seinem ursprünglichen Platz wiederaufzustellen.
Die Bogenspannerin
Eine ähnliche Verbreitung erlebte auch die lebensgroße Idealplastik der „Bogenspannerin“ von 1905/06, die, gänzlich im Duktus der Skulpturenlehre von Adolf von Hildebrand gehalten, nicht nur den Berlinern, Coburgern und Bydgoszczern – letzteren als Schutzpatronen – wohl bekannt sein dürfte. In Berlin ist sie vor der Alten Nationalgalerie und als Nachguss auf dem Vorplatz am Bahnhof Nikolassee zu finden. Das Motiv sorgte nach 1906 auch als Kleinplastik bei Kunstgießern bzw. -händlern für gute Verkaufszahlen.
„Was die Bildwerke von Ferdinand Lepcke angeht, gab es [..] in Coburg 2012/2013, in Lauchhammer 2013 und in Bydgoszcz 2015 [verschiedene] Ausstellungen und wissenschaftliche Publikationen. Eine Folge der Ausstellungsaktivitäten war auch, dass […] das Motiv der Bogenspannerin seit 2013 als kleinplastischer Nachguss [wieder] erworben werden konnte. Als Großplastik wurde sie sogar 2016 für einen italienischen Privatpark nachgegossen. Und nicht zuletzt mit der Neuerrichtung des Sintflutbrunnens in Bydgoszcz 2014 zeigte sich mehr als nur intensives Interesse an Lepckes Kunstwollen.“
(Nicky Heise, Diplom-Museologe)
Neben der „Bogenspannerin“, die in Coburg in einer Grünanlage in der Bahnhofstraße aufgestellt ist, finden sich im Coburger Stadtbild noch weitere Bronzefiguren, die die Handschrift des großen Coburger Künstlers und Bildhauers tragen. Vor dem Gebäude Ernstplatz 12, das heute von der Gemeinschaft Stadtbild Coburg genutzt wird, findet sich die Figur „Heimkehr“, im Kleinen Rosengarten, in der Nähe des Kunstvereins, die Figur der „Phryne“.