Hätte Martin Luther gemailt, gebloggt und getwittert?

von Dr. Silvia Pfister, Landesbibliothek Coburg​

So ganz genau wissen wir das natürlich nicht. Wir können ihn ja nicht mehr persönlich fragen. Doch die Reformation ging einher mit einem ungeheuren Medienumbruch. Ähnlich dem, der durch das Internet ausgelöst wurde. Die sensationelle Neuerung war der Buchdruck, ohne den die Reformation nicht möglich gewesen wäre. Vor Erfindung des Buchdrucks durch Johann Gutenberg Mitte des 15. Jahrhunderts gab es nur handgeschriebene Bücher. Die Herstellung dauerte lang und war sehr mühsam.

Es war ein unendlich zäher und langwieriger Prozess, bis andere Menschen von Neuerungen erfahren haben. Jetzt konnte man einen Text, kaum dass er fertig war, auf einen Schlag in mehreren hundert Exemplaren drucken und unter die Leute bringen. Das gesamte Kommunikationswesen erreichte völlig neue Dimensionen.

Freundschaftsnetze

Zugestellt wurden damals die Briefe durch Boten, die zu Fuß oder zu Pferd unterwegs waren. Außerdem gab man Briefe Reisenden mit, die von einem Ort zum anderen unterwegs waren. Ein wichtiges Nachrichtenzentrum war damals Nürnberg – ein Umschlagplatz für Briefe, Waren und Mitteilungen war Coburg. So wissen wir beispielsweise aus den kursächsischen Rechnungsbüchern, dass am 31. Mai 1527 Hans von Coburg in Torgau 5 Groschen bekommen hat, weil er „eylendts in geschefft m[eines] g[nädig]st[en] hern zu wittenbergk bey doctor Martin Luther gewest“. Die Botendienste waren gut organisiert und funktionierten zügig, aber gemessen an den heutigen Möglichkeiten natürlich recht langsam. So fühlte Martin Luther sich im „Reich der Dohlen“ etwas einsam. SMS, Mails und Blogs oder auch Facebook, Twitter und WhatsApp wären da sicher recht gewesen.

Briefabschriften

Mit seinen Thesen von 1517 wollte Luther anfangs nichts weiter als eine Diskussion in Fachkreisen auf wissenschaftlich-gelehrter Basis. Er legte die Thesen zunächst handschriftlich nieder und verschickte sie als Brief an eine Anzahl von Adressaten, darunter den Kardinal Albrecht von Brandenburg, einen seiner Hauptgegner. Das war schon im September 1517 (97 Thesen). Brief und Thesen mussten für jeden einzelnen Adressaten abgeschrieben werden. Heute würde man eine E-Mail schreiben, die Thesen als Textdatei anhängen und über einen Mailverteiler an alle Adressaten gleichzeitig verschicken.

Dass die Thesen bald Unruhe und Aufregung auslösten, kam auch daher, dass findige Drucker ihre Brisanz erkannten und sie zumindest in Auszügen, ohne Rücksprache mit Luther, druckten. Plötzlich war es nicht mehr die von Luther geplante und gesteuerte begrenzte Öffentlichkeit, die davon Kenntnis bekam, sondern eine unkontrollierbare. Wie wenn heute jemand ohne Zustimmung der Betroffenen etwas in WikiLeaks oder eine ähnliche Enthüllungsplattform einstellt.

Ein Beispiel eines solchen Teildrucks (von 1519) befindet sich in den Beständen der Landesbibliothek Coburg. Er trägt den Titel „Ein sermon von dem Ablass und Gnade durch den wirdigen Doctorum Martinum Luther Augustiner tzu Wittenberg gemacht“. Abgedruckt werden 20 Thesen. Man sieht diesem Druck schon an, dass er nicht von Luther autorisiert ist. Zum einen ist der Titel Sermon = Predigt irreführend. Zum anderen wird der Drucker nicht genannt.

Später, im Jahr 1530, nutzte Luther die Möglichkeit des gedruckten „offenen Briefes“ gezielt für sich. An den Kardinalerzbischof von Mainz, den schon genannten Albrecht von Brandenburg, schreibt er: „Ich hätte wohl lieber heimlich und mit meiner Handschrift an e[ure] k[ur] F[ürstliche] G[naden] geschrieben / So besorget ich mich dieser schwinden Zeit, dass er möchte etwas verruckt auskommen vnd mir als denn sonst und so gedeutet werden, (…) Darumb hab ich denselbigen frey offentlichen durch den druck ans liecht wöllen geben / den gifftigen argwenigen deutern damit vrsachen ires deutens zu verkomen“. „Ich hätte diesen Brief lieber vertraulich und von Hand an Eure Kurfürstliche Gnaden geschrieben. Doch befürchtete ich, in dieser schnellen Zeit könnte er unter Umständen verfälscht in die Öffentlichkeit gelangen und mir so oder so ausgelegt werden. (…) Deswegen war ich so frei, ihn öffentlich im Druck ans Licht zu bringen, um dadurch den giftigen, argwöhnischen Deutern zuvorzukommen.“

Unterschrieben ist dieser Brief „ex eremo“, wurde also – verklausuliert – auf der Veste Coburg verfasst.

Luther war ein ungemein produktiver Kopf und besessener Verfasser von Texten und Übersetzungen. Sobald er wieder etwas zu Papier gebracht hatte – oft als Reaktion auf Schriften anderer oder auf bestimmte Vorkommnisse – ging es auch schon im Druck raus. Während seines Aufenthalts auf der Veste Coburg hat er insgesamt 16 mehr oder weniger umfangreiche Schriften vollendet. Heute würde er das alles wahrscheinlich direkt ins Netz stellen. Und sehr wahrscheinlich wäre er ein eifriger Blogger, der sich darüber hinaus in allen Foren äußern würde, die für seine Anliegen bedeutend wären.


Lesen Sie weiter: Vollständiges Manuskript des Vortrages von Dr. Silvia Pfister

Fotomontage (Original: Kunstsammlungen der Veste Coburg, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. VI, 265, 13)